Das 19. und frühe 20. Jahrhundert sind ein wichtiger Bezugspunkt für die Institutionalisierung der Geisteswissenschaften. An Universitäten in Europa, den USA und anderorts entstanden neue geisteswissenschaftliche Theorien und Methoden, Lehrstühle, Seminare und Institute, von denen sich einige ausdrücklich von den Naturwissenschaften abgrenzten und andere alte Verbindungen zwischen den Wissenskulturen aufrechterhielten oder neue herstellten. Zugleich bezeugte diese Zeit das Aufkommen zahlreicher Medien, deren massenhafte Verwendung von der kontinuierlichen Verfügbarkeit großer Mengen sogenannter Rohstoffe und synthetischer Stoffe abhing. Ziel des Projekts ist es, die vielfachen Bezüge zwischen diesen von der medien-, wissens- und wirtschaftsgeschichtlichen Forschung bislang getrennt voneinander betrachteten Entwicklungen aufzuzeigen. Das Projekt setzt beim medienwissenschaftlich viel beschriebenen „medientechnischen Apriori“ der Wissensformation an, um den Fokus auf das „materielle Apriori“ zu verschieben, also auf die vielzähligen Roh- und Ersatzstoffe, die in der Moderne eine kontinuierliche und massenhafte Medienproduktion überhaupt erst ermöglichten. „Rohstoffe“ verstehen wir dabei als Konstrukte eines ökonomischen Dispositivs, resultierend aus Strategien der lokalen und globalen Aneignung sowie aus diskursiven, technischen und medialen Transformationen stofflicher Ressourcen. Wir möchten zeigen, inwiefern die Geisteswissenschaften der Moderne durch ihren jeweiligen Mediengebrauch in diese Ressourcenökonomie eingebunden waren und sie mitgestaltet haben. So verbindet unser Vorhaben eine sich aktuell neu formierende Geschichtsschreibung der Geisteswissenschaften (history of humanities) mit neuen Forschungsansätzen im Bereich der Medienökologie und Medienökonomie (ecomedia studies). Das Projekt untergliedert sich in drei Teilprojekte. Jedes Teilprojekt fokussiert jeweils eine für die geisteswissenschaftliche Praxis zentrale Mediengattung und Materialart: Schriftmedien/Papier, Klangmedien/Wachs und Bildmedien/Cellulosenitrat. Zugleich leisten die drei Teilprojekte je eigenständige neue Beiträge zur Geschichte und Theorie medialer Formate und Praktiken (Papier), einer materialbasierten Transmedialität (Wachs) und der Stoffgebundenheit visueller Wissensproduktion (Cellulosenitrat). Methodisch arbeiten alle Teilprojekte mit vergleichenden, mikrohistorischen Fallstudien zur Mediennutzung verschiedener Geisteswissenschaften und kombinieren diese mit longue durée-Studien über die Rohstoffe und Lieferketten der entsprechenden Medien. Alle drei Teilprojekte greifen auf reiche, bisher unerschlossene Archivbestände zurück. In Erweiterung des Methodenspektrums ist vorgesehen, Materialanalysen erhaltener medialer Objekte der Teilprojekte vorzunehmen, um Einsichten in deren exakte materielle Komposition zu ermöglichen.
Das Teilprojekt untersucht das in historischer Perspektive wohl zentralste Arbeitsmedium der Geisteswissenschaften: Papier. Die Erfindung des Holzschliffpapiers im Jahr 1843, anschließend entwickelte Verfahren zur Gewinnung von Zellstoff sowie die Energie der Dampfmaschine und die Langsiebpapiermaschine führten zur Industrialisierung und Spezifizierung der Papierbranche. Inwiefern diese „Papierflut“ [...]
Mit der Phonographie kam Ende des 19. Jahrhunderts eine für die Geisteswissenschaften höchst einflussreiche Technologie zur wiederholbaren, scheinbar objektiven und exakten Analyse von Sprache, Musik und akustischer Umwelt auf. Besondere Prominenz im deutschsprachigen Raum erlangten das 1900 von Carl Stumpf am Berliner Institut für Psychologie eingerichtete Phonogramm-Archiv und die 1920 durch [...]
Das Dissertationsprojekt interessiert sich für das Material Cellulosenitrat und seine Bedeutung für die Wissenschaftshistorie der Geisteswissenschaften. Im Zentrum der Untersuchung stehen Kollodium und Zelluloid, beides Produkte aus Cellulosenitrat, die als materielle Ressourcen die Entwicklung unterschiedlicher Medientechnologien wie fotografische Verfahren oder die Kinematographie ermöglichten. [...]
Professorin für Medien und Wissen an der Humboldt-Universität zu Berlin und Speakerin der International Max Planck Research School „Knowledge and Its Resources: Historical Reciprocities“
Postdoktorandin des DFG-Projekts „Rohstoffe der Geisteswissenschaften" an der Humboldt-Universität zu Berlin